Ortskundlicher
Arbeitskreis
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Lange vor Beginn der Eröffnungsveranstaltung fotografierte der Fotograf die noch nahezu leeren Ausstellungsräume: |
Unten: eine Form zum Herstellen von Hohlblocksteinen, eine Schneidevorrichtung zum Schneiden von "Scheierbaombler" (selbst angepflanzter Tabak) und verschiedene nach dem Krieg übliche Schulranzen.
Selbstgebasteltes Kinderspielzeug.
Typisch für die damalige Zeit: mehrfach geflickte Kleidung.
Aus Stahlhelmen hergestellte Töpfe und Vasen und Kerzenständer aus Munitionsresten.
Ein deutscher Kriegsheimkehrer wird von einem amerikanischen Soldaten kontrolliert.
Schüler der Hessenwaldschule (HWS) haben eine
Dokumentation
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Doch dann erscheinen die ersten Ausstellungsbesucher, der "Bücherbahnhof" füllt sich. |
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Eine kleine "Combo" des Blasorchesters der SVE spielt zum Beginn der Eröffnungsfeier. |
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Dann begrüsst Frau Christiane Lucht, die Leiterin des "Bücherbahnhofs", die Besucher und heißt sie alle recht herzlich willkommen. |
Den Worten von Frau Lucht schließt sich Bürgermeister Rainer Seibold an.
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Vier SchülerInnen der Hessenwaldschule brachten jeweils einen kleinen Vortrag zu Gehör, der zeigte, wie die heutige Jugend über die Nachkriegszeit denkt. |
Margarethe Grothues (rechtes Bild), die
Lehrerin der SchülerInnen,
Hans Schmidt dankte den vier SchülerInnen ausdrücklich für ihren Beitrag. |
Nun erzählte Herr Prof. Dietrich Neumann über
seine Erlebnisse in den Jahren nach Kriegsende und über seine Flucht in den Westen. |
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Ansprache von Prof. Dietrich Neumann |
Der Krieg ist aus für Erzhausen Der Krieg ist aus, die Waffen schweigen. es kommt Frieden für die Menschen in Erzhausen, - aber nicht überall in Deutschland. Ich habe dem Wunsch von Hans Schmidt zugestimmt, heute etwas aus der Sicht derer zu sagen, die nicht in Erzhausen aufgewachsen sind. Wenn Sie hier nun stehend zuhören, muss ich mich sehr kurz fassen – unangemessen kurz für die Dimension des Themas. Das von Millionen im Frühjahr 1945 Erlebte liegt weit zurück nach 70 Jahren und 1000 km weit entfernt –und doch damals im gleichen Vaterland. Hier endete mit dem Einzug der Amis der Krieg, und es endeten die Ängste der letzten Zeit, man begann, sich wieder aufzurichten. Im Osten war man in diesen Wochen auf der oft panikartigen Flucht vor der Grausamkeit der siegreichen Roten Armee. Als die deutschen Fronten zusammenbrachen folgte für die Deutschen im Osten eine damals unabsehbare Zeit mit heute einfach nicht mehr vorstellbarer Anarchie und totalem Chaos. Auch nach dem 9.Mai mit der Einstellung aller Kampfhandlungen änderte sich nichts für die Menschen östlich der Oder. Jetzt gab keine Hoffnungen mehr. Die Deutschen waren Freiwild für die disziplinlose Soldateska oder für Plündernde und Marodeure im Gefolge der Fronten. Keinen kümmerte es, wenn man Deutsche peinigte oder einfach erschoss . Die Menschen irrten durch in den letzten Kämpfen verwüstete, fast menschenleere Gebiete. Es gab keinen, der für irgend etwas zuständig war. Es gab keinen Arzt , kein Krankenhaus, keine Apotheken Es gab kein Geld oder keine Läden Es gab keinen elektrischen Strom und kein frisches Wasser Es gab keine Nachrichten oder Anweisungen Es gab keine Bekannten, Nachbarn, Freunde im Umfeld. Es gab dennoch – allerdings sehr selten - Menschen die ihr Letztes teilten, einzelne russische Offiziere, die versuchten zu helfen, und es gab immer wieder auch Errettungen und Fügungen, die man in tiefster Dankbarkeit wie ein Wunder wahrnahm. |
Irgendwie überlebte man durch Kartoffeln, die in Mieten oder Kellern gefunden wurden, von Geteiltem und – es war ja Frühjahr – durch frisch gewachsene Wildkräuter. In einem kleinen Häuschen rückte man für uns dicht zusammen, und wir konnten mit 9 Personen in einem kleinen Zimmerchen die Nächte auf abends aufgeschüttetem Stroh verbringen. Man blieb ahnungslos vom Weltgeschehen. Das galt vor allem im Herbst des Jahres, als die frisch eingerichteten polnischen Behörden die sofortige Ausweisung aller nicht ansässigen Deutschen verfügte. Es bedeutete für uns etwa 300 km Fußmarsch durch Ostpommern bis Anklam mit kleinen Kindern und Alten, kaum Gehfähigen. Immer wieder erfuhren wir auf diesem Elendszug dankbar Hilfen von neu angesiedelten Polen oder anderen Wanderern, die oft ganz ähnliche Wege wie wir zu gehen hatten. Schließlich landeten wir im Spätherbst im vom Krieg ziemlich verschonten Münsterland. Dort waren wir zunächst nicht allzu herzlich willkommen. Arme, abgerissene Habenichtse ohne Pässe und Papiere, von der Polizei ins Haus gesetzt, arbeitslos und auch noch evangelisch im streng katholischen Umfeld ! Gibt es doch heute ganz ähnlich ! Doch gab es Menschen, die sich -unvergessen- unserer annahmen, Kontakte knüpften, Möglichkeiten eröffneten und gegenseitiges Verständnis brachten. Nach mühsamen Aufbaujahren landeten wir in Hessen und Anfang der 60er Jahre in Erzhausen. Auch hier spürte man geraume Zeit den Abstand zwischen „Erzhäusern“ und den Anderen. Doch die unverdrossene Mitarbeit – in unserem Falle in der Gemeindevertretung, in der Kirchengemeinde und in freundschaftlich verbundenen Kreisen haben Vorurteile und kritische Wahrnehmung immer mehr eingeebnet: Man wurde in einander guter Nachbar und Freund. Wir sehen dankbar zurück auf alle Wege hierher, und wir sind dankbar, hier leben und wirken zu können. |
Jörg Dohn dankte Herrn Neumann für seinen sehr interessanten Beitrag. Er lobte auch die große Unterstützung, die die "Macher" der Ausstellung durch die Leitung des Bücherbahnhofs, Frau Lucht und Frau Knöß, erhalten hatten. Frau Weber überreichte den beiden Damen einen Blumenstrauß im Namen des Ortskundlichen Arbeitskreises. |
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Jetzt musste ihn Frau Weber aber doch daran erinnern, dass der offizielle Teil beendet und nun für alle Sekt und Erzhäuser Museumsbrot mit Schmalz angeboten werden sollte. |
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Die "Combo" des Blasorchesters der SVE spielte noch ein paar Stücke, dann begann der Teil der Ausstellung, wo sich jeder, bewaffnet mit einem Glas Sekt und/oder einem Schmalzbrot, durch die Ausstellung bewegen oder sich mit anderen Gästen austauschen konnte. |
Freundliche OAK-Damen servieren Schmalzbrot und Sekt. |
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Vortrag von Verena Krähenbühl |
Frau Verena Krähenbühl lebt nun schon über 40 Jahre in Deutschland, und seit einigen Jahren in Erzhausen. In einem sehr interessanten Vortrag erzählte sie über ihr Leben in der Schweiz in der Zeit von 1939 - 1945. Dieser Vortrag sei hier zur Komplettierung der Informationen über die Ausstellung im Erzhäuser Bücherbahnhof abgedruckt: |
1. Im Krieg 1939-1945 |
Danke für Begrüßung von Herrn Dohn! Als Herr Schmidt mich fragte, ob ich als Schweizerin etwas über die Kriegs- und Nachkriegszeit sagen könnte, habe ich etwas zögernd Ja gesagt. Ich lebe nun schon fast 40 Jahre in Deutschland; es war mir nicht so klar, ob ich mich genügend an diese Zeit erinnern kann. Aber ich habe zugesagt. Als ich nun am letzten Mittwoch die Ankündigung im Erzhäuser Anzeiger las, ich würde darüber berichten, „wie ich und meine Landsleute die Deutschen in der Nachkriegszeit wahrgenommen haben“, war ich erst etwas ratlos. Es gibt ja nicht DIE „Schweizerinnen und Schweizer“, sowie es DIE „Deutschen“ nicht gibt. Es war und ist nicht möglich, sozusagen einen Beobachterstatus einzunehmen, ja vielleicht von der Insel „Schweiz“ aus nach Deutschland zu schauen und festzustellen, wie es uns und wie es den anderen geht und ging. Die Schweiz war von Anfang des Krieges an vollkommen abhängig von seinen Nachbarländern. Unser Land war rundherum an allen seinen Grenzen – Deutschland, Frankreich, Italien, Oesterreich - von Krieg und Zerstörung umgeben. Nazideutschland führte einen Eroberungskrieg, und die Schweiz musste befürchten, dass auch sie überrannt und eingenommen wird. Die Schweiz hatte und hat keine eigenen Rohstoffe und war deshalb auch zutiefst wirtschaftlich abhängig, vor allem von Deutschland und seinen Nachbarländern. Schon sehr früh waren die Versorgungsströme zusammen gebrochen; das Material für die verarbeitende Industrie – ich denke da insbesondere an die Uhren- und Pharmaindustrie – fehlte zunehmend und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln war nicht mehr gewährleistet. Obschon die Schweiz ihre Neutralität aufrechterhalten konnte, war sie doch mitten drin in diesem Weltgeschehen. Ich habe mich nach längerem Überlegen entschieden, Ihnen zu erzählen, wie ich und meine Familie dieser Zeit gelebt haben; ich bin also eine Zeitzeugin aus dieser Zeit. Ich bin 1937 geboren, war also zwei Jahre alt, als der Krieg begann. Ich bin mit vier Geschwistern, zwei älteren Schwestern und einer jüngeren Schwester und unserem Bruder, der nach dem Krieg geboren wurde, auf einem Bauernhof im Unteremmental am untersten Zipfel des Kantons Bern aufgewachsen, nur etwa 60 km entfernt vom Rhein, der deutschschweizerischen Grenze. Unser Haus stammt aus dem Jahr 1789, also noch vor der Französischen Revolution (siehe Photo). Einiges aus den Anfängen des Krieges kann ich nicht wissen, weil ich zu klein war. Ich habe in den letzten Tagen mit meiner ältesten Schwester, die drei Jahre älter ist als ich, mehrmals telefoniert. Sie hat meine Erinnerungen bestätigt und ergänzt. Das war für mich sehr wertvoll. Wie ich schon sagte; die Schweiz war während des Krieges keine heile Welt, keine Oase des Friedens oder sogar eine so genannte Insel der Glückseligen. Ich erinnere mich gut, wie mein Vater fast täglich mittags und abends stundenlang am Radio saß, Nachrichten vom Landessender Beromünster, so hieß das Radio der deutschen Schweiz damals, hörte oder auch andere Sender suchte, gerade deutsche Sender, wohl um sich ein Bild über die Lage zu machen. Diese laute, krächzende Hitlerstimme, das Marschieren der Soldaten und ihre Gesänge, werde ich wohl nie vergessen, den Älteren unter Ihnen wird dies auch so gehen. Unser einziges Radio, ein großes, rechteckiges Grundigmodell stand in der Küche, wo sich alles bei uns abspielte. Niemand sprach darüber, aber ich bin überzeugt, dass wir alle, gerade auch die Eltern, Angst hatten. (Nicht zu vergleichen mit der Angst, die Sie Älteren hatten, die im Kriegsgeschehen lebten!). Sobald es draußen dunkel wurde, mussten wir die Räume im ganzen Haus verdunkeln mit schwarzen Tüchern, die meine Mutter genäht hatte. Gelegentlich flogen Flugzeuge über unser Haus; das waren wohl die Allierten. Dieser so typische summende Fliegerton ist in meinem Gedächtnis geblieben. Wir hörten gelegentlich von weit her Fliegeralarm. Ich kann mich daran nicht erinnern, aber meine Schwester erzählte, wie sehr wir aufgescheucht wurden davon, dass die Amerikaner verschiedentlich - wohl aus Versehen - Grenzgebiete am Rhein bombardierten, z.B. Stein am Rhein, Schaffhausen, Basel, alles Orte nicht so weit von uns entfernt. Wir konnten also nie sicher sein, dass wir in Frieden leben können. 1938, noch vor Ausbruch des Krieges, hatten wir für einige Monate ein Mädchen von etwa 10 Jahren in unserer Familie. Sie hieß Richarda und wurde Harda gerufen. Ich kann mich an sie damals nicht erinnern, da war ich ja erst ein Jahr alt, aber von meiner Schwester weiß ich, dass sie aus Bielefeld stammte und mit ihrer Mutter und Großmutter in die Schweiz geflüchtet war. Gelegentlich war auch ihre Mutter für eine kurze Zeit bei uns. Ich habe nach dem Krieg Harda dann wirklich kennen gelernt, denn sie kam noch zweimal für einige Wochen zu uns auf Besuch. Sie konnte wunderschön malen und studierte Kunst. Erst viele Jahre später habe ich erfahren, dass sie Jüdin war; sie hat, soweit ich mich erinnern kann, nicht davon erzählt, und ich habe nicht nachgefragt. Das passt zu meiner Erfahrung in der Schweiz, dass während des Krieges und noch viele Jahre darnach niemand wirklich wusste und wohl auch nicht wissen wollte, was mit der jüdischen Bevölkerung in Deutschland passiert ist, dass es Auschwitz, Birkenau und die vielen anderen Konzentrationslager gab, in denen Millionen von Menschen, hauptsächlich Juden, vernichtet wurden. Dabei hatte die Schweiz auch einen schuldhaften Anteil daran. Bereits 1938 hat die Schweiz die Grenze nach Norden dicht gemacht. 1942 hat der damalige Innenminister für die Schweiz erklärt, „das Boot ist voll“; (dieser Ausdruck ist ja gerade jetzt in Zusammenhang mit den Flüchtlingen hier in unserem Land wieder aufgetaucht). Das hieß: In unserem Land ist kein Platz mehr für Ausländer! Es gibt Berichte, dass viele jüdische Eltern aus Deutschland ihre Kinder an die deutschschweizerische Grenze brachten in der Absicht, sie in die sichere Schweiz zu bringen, damit wenigstens sie gerettet werden. Wie wir wissen, wurden sie in den meisten Fällen abgewiesen, und das war für sie der sichere Tod. In dieser Kriegszeit wurden zwischen 25.000 und 30.000 jüdische Flüchtlinge nicht herein gelassen und sind so zu Tode gekommen. Die Schweiz hat erst sehr spät begonnen, ihre eigene Geschichte mehr oder weniger ernsthaft aufzuarbeiten; da war ich schon hier in Deutschland. Ich bin sehr dankbar für die Erfahrung hier in Deutschland, dass und wie hier in diesem Land Erinnerungsarbeit geleistet und diese schreckliche Vergangenheit aufgearbeitet wird. In unserem Dorf waren ab 1940 immer wieder ausländische Soldaten interniert. Zuerst kamen 20 bis 30 Polen. Diese jungen Männer kämpften in Frankreich, zusammen mit den Franzosen, gegen die deutsche Wehrmacht und mussten dann fliehen, als die Deutschen immer weiter vorrückten. Sie waren in einer Gemeinschaftsunterkunft im Dorf untergebracht und wurden, auf freiwilliger Basis, auf die Familien in der Gemeinde, die ja meist Bauernfamilien waren, verteilt. Zu uns kamen täglich, über etwa zwei Jahre lang, zwei bis drei junge Polen, die auf dem Feld und im Stall mitarbeiteten und die Mahlzeiten bei uns und mit uns einnahmen. Meine Schwester erzählte mir in diesen Tagen, dass die Frauen im Dorf für sie Socken und Pullover strickten, eine schöne Geste, aber bestimmt auch eine Notwendigkeit, denn die Unterbringung in diesem Raum im Dorf war bestimmt nicht komfortabel. Nach den Polen bekamen wir im Dorf zwischen 50 und 60 italienische Soldaten, die zuvor in den italienischen Bergen nahe an der Grenze zum Tessin gegen die Deutschen und oft auch gegen die gleichgeschaltete eigene Wehrmacht gekämpft hatten oder auch einfach geflohen waren. Auch sie wurden in die Bauernfamilien für die Feldarbeit eingeteilt, und wir hatten wiederum zwei oder drei Italiener in unserem Haus. Sie verließen das Dorf, als der Krieg zu Ende war. Eine andere Erfahrung aus der Kriegszeit ist mir in Erinnerung: Es kamen viele Menschen zu uns auf Besuch, an Sonntagen, aber auch während der Woche, es wurde häufig an unsere Haustüre geklopft. Manchmal kannten wir sie, aber manchmal auch nicht. Sie baten um ein paar Eier, um Mehl, um Lebensmittel, die bei uns vorrätig waren. Öfters setzten sie sich auch an unseren Mittagstisch. Mir ist viel später klar geworden, dass diese Menschen zu wenig zu essen hatten (auch hier nicht zu vergleichen mit dem Hunger, den Sie hatten!). Auf dem Bauernhof kannten wir keinen Hunger, denn wir konnten uns verpflegen mit den Lebensmitteln, die wir selbst auf unserem Hof produzierten. In der Schweiz war ja in dieser Zeit der Warenverkehr zusammen gebrochen; die Lebensmittel waren rationiert, wir bekamen Lebensmittelkarten entsprechend der Größe der Familie, die, wenn man nicht in der Landwirtschaft wohnte, zum Leben kaum ausreichten. Mit den Karten konnten wir Salz, Zucker, Kaffee, Teigwaren und andere Lebensmittel kaufen, die wir nicht selbst hatten. Ich habe als Kind häufig miterlebt, wie meine Mutter Marken aus unserer Lebensmittelkarte ganz verstohlen in die Tasche unserer Besucher steckte. Wir mussten im Winter auch nicht frieren, denn zu unserem Hof gehörte ein Stück Wald, der uns für das Heizen genug Holz lieferte , eine wahrhaft privilegierte Situation, ich denke mit viel Dankbarkeit daran. Am 8. Mai 1945, am Kriegsende, läuteten in der ganzen Schweiz die Kirchenglocken, auch im Radio. Wir Kinder holten aus dem Keller die Glocken und Schellen der Kühe und Rinder hervor, die sie immer auf der Weide trugen, und mit ihnen liefen wir schellend und lachend ums Haus herum und in die Felder. Auch wir waren glücklich, dass der Krieg zu Ende war. |
2. Nach dem Krieg
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Ich möchte lediglich zwei Situationen aus der Zeit nach 1945 erwähnen, die für mich und meine Familie prägend waren. Meine Eltern hatten schon bald nach Ende des Krieges über das Schweizerische Rote Kreuz Kinder aus zerbombten Städten aufgenommen. Sie waren etwa drei Monate Gast in unserem Haus, lebten mit uns, konnten sich wieder satt essen, und meine Mutter hat sie mit Kleidern und Schuhen ausgestattet. Die schmalen, verängstigten Gesichter dieser Kinder werde ich nie vergessen, sie waren ja etwa so alt wie ich, zwischen 10 und 12 Jahre. Dörte war die erste, die kam, sie kam aus Bremen, später kam Jutta aus Berlin. Die dritte im Bunde war Annunciata, sie kam aus Mailand. Kurz nachdem sie wieder in ihre Heimat zurückgegangen waren, sind zuerst meine ältere Schwester und dann ich krank geworden. Die Diagnose unseres Hausarztes lautete: „Lungenentzündung“; bei uns wurde ein Schatten auf der Lunge festgestellt. Der Arzt befahl einen Aufenthalt in einem Lungensanatorium im Berner Oberland. Meine Mutter wollte uns nicht hergeben, und so wurden wir in ein Zimmer, ganz abgeschirmt von den anderen Räumen des Hauses, einquartiert und nur unsere Mutter durfte zu uns hereinkommen, weil die Krankheit hoch ansteckend war. Die Isolationszeit dauerte drei Monate. Da wir zu zweit waren, war es für mich ganz angenehm – ich war froh, dass ich in dieser Zeit von der Arbeit in der Küche und auf dem Feld verschont wurde und nun endlich Zeit hatte zum lesen. Man vermutete, dass unsere Besuchskinder diese Krankheit mitgebracht hatten, weil sie dort auftrat, wo Kinder aus dem Krieg in der Schweiz weilten. Hygiene ist ein so wichtiges Thema im Krieg, auf der Flucht (Sie sehen bestimmt auch täglich die Bilder von Idomeni, wo im Augenblick Tausende von Flüchtlingen in erbärmlichen Situationen leben). Wir haben das Fehlen sozusagen hautnah miterlebt. Das andere war wiederum unser Radio, das uns auch nach dem Krieg die Welt ins Haus brachte. Meine Eltern und wir Kinder haben ganze Abende lang über eine sehr lange Zeit den Suchdienst des Schweizerischen Roten Kreuzes abgehört. Anfangs sendete Radio Beromünster nach den wichtigsten Nachrichten mittags und abends über eine halbe Stunde Namen und Adressen von Menschen, die andere Menschen suchten oder für die sie Ansprechpersonen, Verwandte oder Bekannte suchten. Das waren für uns „Pflichtsendungen“, wir saßen auf der Bank in der Küche und hörten gespannt dieser sonoren Stimme zu, die Personen aufrief, sich zu melden. Ich weiß nicht, weshalb uns diese Sendung so wichtig war, es war bestimmt ein „Blick“ in die weite Welt, möglicherweise aber auch Anteilnahme oder vielleicht dieses magische Denken eines Kindes, es könnte vielleicht eine Person oder ein Name, der genannt wurde, erkennen und dann die Menschen zusammenführen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Verena Krähenbühl |