Historischer Gemarkungsrundgang:
Brückenschlag vom alten zum neuen Erzhausen
am 28. Juni 2014
(Bilder: Ewald Gold und Georg Weber)



Um 9:00 Uhr trafen sich zahlreiche Erzhäuser vor der evangelischen
Kirche, um an dem "Historischen Gemarkungsrundgang" teilzunehmen.

 

Zunächst begrüßten Herr Wolfgang Demmel, Vorsitzender des Gemeinderats, und Bürgermeister Rainer Seibold
die interessierten Erzhäuser. Ganz besonders begrüßten sie den Bürgermeister von Mnichovo Hradiste, Arnost Vajzr,
seinen Stellvertreter Jiri Bina, und die reizende Dolmetscherin Hanna.

In der Kirche gab Herr Volker Jonas einen Abriß über die Geschichte der Erzhäuser Kirche. Er berichtete, dass das Fundament in der Nordost-Ecke unserer Kirche bereits 1100 Jahre alt ist. Das bedeutet, bereits vor mindestens 1100 Jahren beteten Menschen in dieser kleinen Kirche, und damit wird klar, dass Erzhausen wesentlich älter ist als 750 Jahre!

Der Organist der Orgel in unserer Kirche, Dr. Hendrik van Hees, berichtete über
die Geschichte unserer Orgel und spielte den Besuchern ein Stück auf der Orgel vor:

Herr Demmel bedankte sich bei Herrn Jonas für die interessante Einführung in die Geschichte der Kirche:

Das nächste Ziel des Rundganges war das wunderschön restaurierte Fachwerkhaus der Familie Scarpetta:

Im großen Innenhof berichtete Hans Schmidt vom Ortskundlichen Arbeitskreis über das Leben
der Erzhäuser in früheren Zeiten. Er erzählte, dass in Erzhausen nur sehr kleine Häuser
gebaut worden waren, da die Menschen hier über lange Zeiten in sehr ärmlichen Verhältnissen lebten.

Während seiner Ausführungen wurde Hans Schmidt genau beobachtet von einem richtigen "Dachhasen":

Vom Fachwerkhaus der Familie Scarpetta ging es dann zur alten Schillerschule.

Im Schulhof der Schillerschule erzählte Günter Becker auf humorvolle Weise
Geschichten aus der guten alten Zeit, die ja gar nicht so gut gewesen war.

Weiter ging es danach zum Kelterhaus in der Weihergasse, wo Herr Gerhard Obst vom Obst- und Gartenbau-Verein über das Kelterhaus und über die Möglichkeiten, es zum Herstellen von Obstsäften zu nutzen, informierte. Hans Schmidt berichtete anschließend darüber, wie die Weihergasse ihren Namen bekommen hat: früher gab es auf dem Grundstück gegenüber dem Kelterhaus in der Tat einen Dorf-Weiher, der aber schon lange verschwunden ist. Aber noch heute fließt unter der Weihergasse hindurch der Weihergraben.

Der nächste Halt war in der Bahnstraße, dem "Gässelche". Hier kam wieder Günter Becker zum Zuge. Er erzählte Anekdötchen und Geschichten der Menschen hier in der kleinen Gasse, wo noch viele der ältesten und kleinsten Häuser Erzhausens stehen. Die meisten Häuser waren nicht unterkellert. Ausserdem erfuhr man auch etwas über die "Utznamen" der alten Erzhäuser.

Der Weg führte nun durch die Bahnstraße, vorbei an der Bäckerei Keller,
zu dem kleinen Plätzchen vor dem Fotostudio Niesik in der Bahnstraße 40.

Dort warteten bereits eine kleine Gruppe von Erzhäusern auf die Teilnehmer des Rundganges. Denn hinter dem Fotostudio steht seit Anfang des 19. Jahrhunderts das Haus des ersten Erzhäuser Arztes Dr. Theodor Spiro. Hier sollte eine Tafel zum Gedenken an den sehr beliebten Arzt enthüllt werden.

Die langgezogene Kette der Rundgangsteilnehmer nähert sich.

Alte Freunde begrüßen sich: Heinz Weber und der Bürgermeister von Mnichovo Hradiste, Arnost Vajzr.

Die Rede von Bürgermeister Rainer Seibold bei der Enthüllung der Gedenktafel

Diese Tafel, die ich enthüllt habe, soll an Dr. Theodor Spiro erinnern. Er war der erste Arzt in Erzhausen. Er lebte und praktizierte im Haus Bahnstraße 40 von 1901-1935.

Aus überlieferten Aussagen von Ortsbürgern wissen wir, dass er wegen seiner fachlichen Kompetenz und menschlichen Qualitäten ein außerordentlich beliebter Arzt war. Kinder müssen den „Schokodoktor“ ganz besonders geliebt haben. Er hatte manchmal für sie eine Süßigkeit in der Tasche. Das war damals etwas ganz Besonderes.

Dr. Spiro war mit einer Erzhäuserin verheiratet – was auch zu seiner Ortsverbundenheit beitrug. Ja, er war mit Erzhausen verbunden, einem damals armen Arbeiter- und Bauerndorf. Er blieb als Dorfarzt hier, obwohl sein mit höchster Auszeichnung, mit suma cum laude, bestandenes Examen ihm eine sehr einträgliche wissenschaftliche oder ärztliche Karriere eröffnet hätte. Er war halbjüdischer Abstammung, konvertierte aber als Student zum Protestantismus. Er wurde hier getraut, seine Kinder wurden hier getauft und konfirmiert. Ein Sohn wurde evangelischer Pfarrer. Diese Tatsachen sind wichtig, um das Weitere, Unfassbare begreifen zu können.

Sein Sohn Erich schreibt in nachgelassenen Erinnerungen sinngemäß: „obwohl wir in Erzhausen mehr oder weniger als Christen aufwuchsen, waren wir mit der Ankunft Hitlers plötzlich Juden. Die Einwohner von Erzhausen konnten nicht

 begreifen, dass der beliebte Dr. Spiro nicht mehr als ,Deutscher‘ erwünscht war“.

Bereits drei Monate nach der Machtübernahme der Nazis in Erzhausen strich ihm der Gemeinderat eine Zuwendung für die Behandlung der Ortsarmen. Von weiteren Diskriminierungen gibt es nur Überlieferungen von Zeitzeugen. Angesichts der Meinungsdiktatur wagte vermutlich auch niemand für ihn öffentlich Partei zu ergreifen. Ein Sohn konnte nach USA, ein anderer nach Frankreich emigrieren. Der Dritte Sohn konnte sich nach dem Tod des Vaters mit Hilfe eines Ortbürgers in Bremerhaven nach USA einschiffen.

Diese Tafel soll sowohl an die verdienstvolle Tätigkeit Dr. Spiros als auch an die offene und verdeckte Diskriminierung erinnern, die, wie Erich Spiro schrieb, „zum Ende der Familie im Reich“ führte.

Diese Tafel soll aber auch bewusst machen, dass auch heute in diesem demokratischen Land Menschen wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe diskriminiert werden. Begegnen wir diesen Menschen auch hier in Erzhausen mit Toleranz, Offenheit, Wertschätzung und Hilfe. Das sind wir uns als Bürger schuldig, die wir das Privileg haben in der friedlichsten, demokratischsten Gesellschaft aller Zeiten in Deutschland zu leben.

Die Leiterin der Hessenwaldschule, Ute Simon-Nadler, und zwei Lehrerinnen und zwei Lehrer brachten
ergreifende Lieder zu Gehör. Das letzte Lied "Sag mir, wo die Blumen sind" hat die Zuschauer sehr ergriffen.

Wolfgang Demmel enthüllt die Gedenktafel.

Zwei in Amerika lebende Enkel von Dr. Spiro, Ted und Anna, waren extra zur
Enthüllung der Gedenktafel und zur 750-Jahr-Feier aus Amerika angereist.

Ted Spiro und seine Schwester Anna bedankten sich für die Ehrung ihres Großvaters:

Zwei Mitglieder der Familie Dr. Spiro, meine Schwester Anna und ich, sind heute anwesend bei der Feier des 750. Jahrestages von Erzhausen.

Anwesend sind auch unsere Erzhäuser Familienmitglieder: meine Kusine Anne Katzenmayer, Willi und Irmgard Breidert, sowie Kinder und Enkelkinder. Meine Schwester Dr. Anna Spiro und ich, Dr. Theodor Spiro, danken im Namen aller Mitglieder der Familien Spiro. Ich danke Ihnen für die Ehre, die Sie Dr. Theodor Spiro (meinem Großvater) geschenkt haben. Einige von Ihnen kennen vielleicht nicht Details seiner Lebensreise. Ich möchte Ihnen diese Informationen gerne mitteilen.

Dr. Spiro wurde 1864 in Breslau (Schlesien) geboren. Heute heißt die Stadt seiner Geburt Wroclaw (Polen). Er besuchte das Gymnasium Magdalena, wo er ein ausgezeichneter Schüler war. Anschließend studierte er Medizin in München mit Abschluss "summa cum laude". Vor über 100 Jahren, im Jahre 1901, kam er nach Erzhausen und eröffnete seine Hausarztpraxis. Zuvor hatte er bereits in Merzalban  (Rheinland-Pfalz) und in Frankenau (Hessen) praktiziert.

In Erzhausen traf Dr. Spiro eine junge Frau aus dem Ort, Anna Maria Augusta Pohl. Sie heirateten im Jahr 1902 und hatte vier Kinder, Hans geboren 1902, Kurt, geboren 1904, Erich 1909  und Karl Theodor 1912. Theodor und Anna lebten zusammen für den Rest ihres Lebens in Erzhausen. Anna starb im Jahre 1932, und Theodore im Jahr 1935.

Was wurde aus ihren vier Söhnen? Ihr zweites Kind Kurt starb 1928 an Tuberkulose. Hans und Erich machten ihren Abschluss zum Doktor der Medizin an Universitäten in Deutschland und wanderten dann in die Vereinigten Staaten aus, wo sie als Mediziner praktizierten. Theodore, der jüngste der vier Brüder, war Pfarrer der Reformierten Evangelischen Kirche in Frankreich.

Auch im Namen  meiner Schwester Anna und mir möchten wir  uns für die besondere Ehre für unseren Großvaters sehr herzlich bedanken.

Ted und Anna erhielten zur Erinnerung ein Fest-T-Shirt überreicht:

Jetzt ging es aber zum Rathaus, wo der Ortskundliche Arbeitskreis zur Erinnerung an den 750. Geburtstag von Erzhausen eine Erinnerungsstele hatte aufstellen lassen. Diese Stele soll nicht nur an die 750-Jahr-Feier erinnern, sondern auch bewußt machen, dass es den Menschen heute in Erzhausen so gut geht wie noch nie zuvor in der Geschichte Erzhausens. Deshalb soll diese Stele auch nicht nur ein Denkmal sein, sondern ein "Dankmal", wie es Hans Schmidt ausdrückte.

Schüler der Hessenwaldschule umrahmten musikalisch die Enthüllung der Stele. Unter anderem
sangen sie die selbst gedichtete und komponierte neue "Erzhäuser Hymne", die großen Beifall fand.

Erzhäuser Hymne

Hier sind wir gebor’n und laufen durch die Straßen.
Kenn die Gesichter, jedes Haus und jeden Laden.
Wir gehen nicht weg, denn jedem hier ist bekannt,
dem Vergleich mit Erzhausen hält kein andrer Ort stand.

Rom ist zu alt, die Emirate heiß,
Peking versinkt im Smog , was jeder weiß.
Mallorca nervt mit Ballermann,
Venedig ertrinkt bald durch Kreuzfahrtwahn.

Wir können Weltenbummler einfach nicht verstehn,
denn keiner wollte bisher nach Erzhausen gehn’.
Drum laden wir die Globetrotter heute ein,
zu Gast im schönsten Ort der Welt zu sein.

Wir wohnen in Erzhausen und Erzhausen ist schön,
Das kannst Du bei der Ankunft schon am Bahnhof sehn..
Ein jeder der hier weilte, sagt gewiss:
Erzhausen ist das Paradies.

Die Sonne brennt zu heiß: ein Eis gibt’s gleich am Bahnhof,
wenn kalte Winde wehn kannst du zur Sauna gehn.
…wandern dann…, durch Wiesen und im Wald,
Zur Spargelzeit, treffen Gourmets sich hier schon bald!

Wenn du dich dann ins Bürgerhaus bemühst
dich Reiner Seibold mit Kaffee begrüßt
Zum Übernachten brauchst Du kein Hotel,
ein Gästezimmer finden wir sehr schnell.

Rom ist zu alt, die Emirate heiß,
Peking versinkt im Smog , was jeder weiß.
Mallorca nervt mit Ballermann,
Venedig ertrinkt bald durch Kreuzfahrtwahn.

Wir wohnen in Erzhausen und Erzhausen ist schön,
Das kannst Du bei der Ankunft schon am Bahnhof sehn..
Ein jeder der hier weilte, sagt gewiss:
Erzhausen ist das Paradies.

Wir wohnen in Erzhausen und Erzhausen ist schön,
Das kannst Du bei der Ankunft schon am Bahnhof sehn..
Ein jeder der hier weilte, sagt gewiss:
Erzhausen ist das Paradies.

Hier sind wir gebor’n und laufen durch die Straßen.
Kenn die Gesichter, jedes Haus und jeden Laden.
Wir gehen nicht weg, denn jedem hier ist bekannt,
dem Vergleich mit Erzhausen hält kein andrer Ort stand.

Nach Ansprachen von Hans Schmidt (Ortskundlicher Arbeitskreis), Wolfgang Demmel (Vorsitzender
der Gemeindevertretung) und Bürgermeister Rainer Seibold wurde die Stele enthüllt.

Das "Dankmal" wird enthüllt.

Auch die Kinder und Jugendlichen, die am Rundgang teilgenommen
hatten, wollten nach der Enthüllung mit auf das Gruppenbild.
Diese Generation wird noch die 800-Jahr-Feier erleben!

Den Abschluß bildete eine Rast im Feuerwehrgerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr Erzhausen. Das DRK, Ortsgruppe Erzhausen, servierte einen großartigen Erbseneintopf umd belegte Brötchen, dazu gab es auf Wunsch ein leckeres Bierchen oder andere Getränke.

Noch war die Halle leer  -  aber dann strömten die Gäste herein und schnell waren die Tische besetzt.

Übung macht den Meister!

Hmm  -  lecker! Das hat Allen super gut geschmeckt!