Eröffnung der Ausstellung
Ein Dorf unterm Hakenkreuz
am 25. März 2015
im Bücherbahnhof
 


 

Alles war vorbereitet, die Besucher der Eröffnung waren zahlreich erschienen. Nun noch eine letzte Abstimmung zwischen Frau Lucht (Bücherbahnhof) und Bürgermeister Rainer Seibold, dann begrüßte Frau Lucht als die Hausherrin des "Bücherbahnhofs" die Gäste und wies in ihrer Ansprache auf den Sinn dieser Ausstellung hin:

Liebe Gäste,

ich begrüße Sie sehr herzlich im Bücherbahnhof zur Eröffnung der Ausstellung „Ein Dorf unterm Hakenkreuz - Erzhausen von 1933 bis zum März 1945“, die vom Ortskundlichen Arbeitskreis erarbeitet wurde.

Unser Umgang mit der Geschichte hat sich in den letzten 70 Jahren spürbar verändert. Nachdem unmittelbar nach dem 2.Weltkrieg das Verdrängen und Nicht-wissen-wollen dominiert hat, hieß die Parole der folgenden Jahrzehnte „Vergangenheitsbewältigung“. Es hat sich aber gezeigt, dass das nicht funktioniert. Ein Schüler kann kann seine Hausaufgaben bewältigen, ein Radfahrer einen steilen Anstieg, aber die Vergangenheit lässt sich nicht bewältigen. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt wird blind für die Gegenwart und damit für neue rechte Tendenzen in der Gesellschaft.

Heute wird das bewusste Erinnern an die Vergangenheit als ein Mittel eingesetzt, um aktiv dem Vergessen entgegenzuwirken. Damit lassen sich, begleitend zur wissenschaftlichen Analyse der politischen und gesellschaftlichen Vorgänge in der Zeit des Nationalsozialismus die gewonnenen, eher abstrakten Erkenntnisse auf die alltägliche und individuelle Ebene herunter brechen. Der damalige Alltag wird wieder sichtbar. Damit können diese Erinnerungen der jungen Generation helfen die Mechanismen des Machtapparats und der Propaganda der Nationalsozialisten zu erkennen und deren Auswirkungen auf eine kleine Dorfgemeinschaft, wie Erzhausen vor Augen zu führen. Erzhausen ist exemplarisch zu sehen und steht für viele kleinere Gemeinwesen in der Zeit den Nationalsozialismus.

Bevor ich das Wort an Herrn Bürgermeister Seibold weitergebe, wird nun die Musikwerkstatt der Hessenwaldschule unter der Leitung von Herrn Pritzl spielen.

Danach spielte die "Musikwerkstatt" der Hessenwaldschule unter der Leitung von Lehrer Dieter Pritzl zwei Stücke:

Jetzt begrüßte Bürgermeister Rainer Seibold die Gäste:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Erzhäuserinnen und Erzhäuser,

Heute blicken wir zurück auf einen bedeutenden Tag für Erzhausen.

Das Ende der schlimmen Zeit, als Deutschland Europa mit Krieg und Leid überzog, war gekommen, als am 25. März 1945 – also heute vor genau 70 Jahren - amerikanische Soldaten in Erzhausen einmarschierten und dem Schrecken der Naziherrschaft ein Ende bereiteten.

Wenige Wochen später endete schließlich auch in ganz Europa dieser schlimme Krieg.

Als Person, die weit nach dem zweiten Weltkrieg das Licht der Welt erblickte, ich bin 1969 geboren, kam meine Generation zunächst überhaupt nicht mit diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte in Kontakt. In der Schule eher nebenbei und emotionslos von den Lehrkräften behandelt, hatte man das Gefühl „besser, man spricht nicht darüber“.

Mich persönlich holte das Thema erst in meiner Zeit als Fachabiturient 1992 ein, als wir im Rahmen unseres Politikunterrichts mit einer überaus engagierten Lehrerin den Film „Schindlers Liste“ anschauten.

Dieser bildgewaltige Film, der die grausamen Machenschaften der Nazis gnadenlos darstellt, war für mich ein Schock!

Wie können Menschen nur zu so etwas Grausamen in der Lage sein?

Wie kann man Menschen – Greise, Frauen und wehrlose Kinder – erschießen, in Konzentrationslager wie Vieh verfrachten und vergasen?

Bis heute stimmen mich die Gedanken an solch ein Leid in tiefe Traurigkeit.

Leider müssen wir feststellen, dass die Geschichte den Menschen nicht lehrt, sich zum Besseren zu verändern, leider reicht ein Blick in die täglichen Nachrichten, dass die unsagbaren Gräueltaten auch heute in unserer Welt zum Alltag gehören.

Doch es gibt auch Anzeichen der Hoffnung!

Die Menschen, die sich gegenwärtig aus Syrien, dem Irak oder anderen Regionen der Welt, wo Mord und Totschlag zum alltäglichen Leben gehören, auf die Flucht begeben, finden Zuflucht auch in unserer Ortschaft, in unserem Erzhausen.

Eine große Hilfsbereitschaft ist zu spüren und ich darf sagen, dass die Flüchtlinge bei uns eine zweite – momentan die einzige Heimat die Sie haben – finden. Sie fühlen sich bei uns geborgen und in Sicherheit.

Diese Beispiele sollten uns Mut machen und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lassen.

Lassen Sie uns Anflüge von Ausländerfeindlichkeit, pauschalen und platten Parolen gegen Menschen anderen Glaubens, Beschimpfungen von Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Gefühle immer wieder Zielscheibe von rechtsradikalen Idioten werden, wehement entgegen treten.

Hierzu gibt es einen Satz, mit dem ich meine kurze Ansprache beenden möchte: „Wehret den Anfängen“!

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Hans Schmidt und seinen fleißigen Helferinnen und Helfern vom Ortskundlichen Arbeitskreis, die diese Ausstellung „Ein Dorf unterm Hakenkreuz“ geschaffen haben. Ebenso ein herzliches Dankeschön an Christiane Lucht und ihr Team der Gemeindebücherei für ihre Unterstützung.

Vielen Dank!

 
Drei Schülerinnen der Hessenwaldschule erzählten den Gästen in bewegenden
Worten ihre Sicht auf die Geschichte der Zeit von 1933 bis 1945:


Die Rede von Jörg Dohn, ebenfalls in verantwortlicher Position im Ortskundlichen Arbeitskreis:

Ich bin Jahrgang 1960, ins sogenannte Wirtschaftswunder hineingeboren,
15 Jahre nach Kriegsende, geboren in Darmstadt und aufgewachsen hier in Erzhausen.

Denke ich an den 25. März 1945 so fällt mir zuerst die große, historische Rede unseres ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ein, in der er den 8. Mai 1945, also den Tag der Kapitulation, als „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ bezeichnete.

In dem Zusammenhang schildert einer der Augenzeugen des 25. März, Georg Breidert, diesen Tag u.a. wie folgt:

„Tagelang rollten in den letzten Märztagen die amerikanischen Verbände durch Erzhausen. Sie durchquerten den Ort vom Bornweg, also von der Autobahn her, Richtung Osten. Jetzt wurde uns erst so richtig klar, dass die deutsche Wehrmacht dieser Übermacht nichts entgegenzusetzen hatte. Dies war für uns bedrückend, denn wir sahen auch gefangene deutsche Soldaten, die auf LKWs abtransportiert wurden und wussten, dass unser Vater noch irgendwo im Osten Deutschlands „an der Front stand“. Haben wir diesen Ausgang des Krieges als Befreiung verstanden?

Für uns war klar, dass wir zunächst einmal von der Kriegsangst befreit waren, denn mit Luftangriffen war nicht mehr zu rechnen und auch die Bedrohung durch die NS-Mandatsträger entfielen.“…so Georg Breidert, später Arzt in Seeheim-Jugenheim.

Aus fast allen anderen Augenzeugenberichten, die uns vorliegen habe ich nicht unbedingt den Eindruck gewinnen können, dass diese ersten Tage im März, für die Erzhäuser schon als Befreiung empfunden wurden. Vielmehr herrschte auch in diesen Tag noch Angst, Angst vor dem Ungewissen, Angst vor dem was da noch kommen würde. Das Gefühl der Befreiung kam sicher, aber erst sehr viel später, und womöglich auch nur für einen Teil Deutschlands. Ich profitierte in der Folge von den Vorzügen und Freiheiten der Demokratie, der Meinungsfreiheit, der Handlungsfreiheit, der Reisefreiheit …

Weizsäcker spricht im Laufe seiner Rede auch von einer schweren Erbschaft, die wir Deutschen übernommen hätten, die die Vorfahren uns, der gegenwärtigen Generation hinterlassen hätten, und fordert von allen Deutschen, die Vergangenheit anzunehmen.

Damit so etwas nicht noch einmal passiert, sind meine und künftige Generationen aufgefordert immer wieder daran zu erinnern, eben durch Ausstellungen wie diese. Die bedrückenden Schicksale jener Zeit dürfen wir nie vergessen, sie sollen uns daran erinnern, Tag für Tag für den Frieden und die Freiheit einzutreten.

Denke ich an den 25. März 1945, so habe ich immer noch die mahnenden Worte meiner Großeltern im Ohr: „Alles darf es geben, nur niemals wieder einen Krieg.“

Weizsäcker schließt seine Rede u.a. mit dem Satz:

„Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.“

Für mich ist dieser Satz prägend geworden. Spüre ich doch jeden Tag wie bereichernd es ist, sich mit seinem Nachbarn zu verstehen, Menschen aus anderen Ländern oder anderen Glaubens zu treffen und von ihnen zur lernen, auch gegensätzliche Ansichten konstruktiv und somit auch friedlich miteinander auszutragen.

Mein Erzhausen erlebte und erlebe ich hierbei ganz besonders aufgeschlossen und tolerant, z.B. im Umgang mit den Vertriebenen nach Kriegsende, im Umgang mit den Gastarbeitern der 60er und 70er Jahre und ganz besonders auch  mit den Asylbewerbern heute, die in ihrer Heimat oft das erleben mussten, was unsere Vorfahren in der Zeit zwischen 1933 und 1945 erlebt, oder besser gesagt, erlitten haben. 

Edith Hechler, eine "Zeitzeugin", war nun an der Reihe. Reden kann sie nicht, wie sie selbst sagt, aber schwätze, und das auf gut Erzhäuser Platt! Bei allem Ernst, der in Ihrer Schilderung der Ereignisse vom 25. März 1945 als die "Amis in Erzhausen einmarschierten" steckte  -  es war ein sehr großes Vergnügen, ihrem Bericht zu folgen. Hans Schmidt, der Leiter des Ortskundlichen Arbeitskreises und der Initiator, Organisator und das Herz dieser Ausstellung, freute sich dann auch sehr und drückte seine Edith Hechler ganz herzhaft an seine Brust!

Hans Schmidt informierte nun über Einzelheiten der Ausstellung:

Dazu der Artikel im Darmstädter Echo vom 27. März 2015:
Als wäre es gestern gewesen

Ausstellung – Im Bücherbahnhof Erzhausen erinnert eine
Schau an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren

Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Anlass für Hans Schmidt vom ortskundlichen
Arbeitskreis Erzhausen, die Ausstellung „Ein Dorf unterm Hakenkreuz“ zusammenzustellen.

Am Mittwoch eröffnete Bürgermeister Rainer Seibold die Schau, die zahlreiche Bilder vom Leben in Erzhausen aus den Jahren 1933 bis 1945 zeigt, im Bücherbahnhof. Für die Jugendlichen von heute ist der 25. März kein besonderes Datum. „Wir wussten bis vor Kurzem nicht, was der Tag für eine Bedeutung für Erzhausen hat“, erzählt die Hessenwaldschülerin Alice Glotin bei der Eröffnung.

Hans Schmidt war acht Jahre alt, als die Amerikaner am Palmsonntag vor 70 Jahren in Erzhausen einmarschierten und damit der Krieg in der damals 2500 Einwohner zählenden Kommune endete. Als Befreiung hat Schmidt den 25. März 1945 aber nicht erlebt. „Ich war traurig, als die Amerikaner kamen, mir kamen die Tränen.“ Sein Vater und zwei Brüder waren noch im Krieg, wie sich die Situation in Erzhausen weiter entwickeln würde, wusste niemand. „Die Geschichte stand still“, sagt der ehemalige Lehrer am Rande der Ausstellung im Gespräch mit dem ECHO. „Der Volkssturm verließ morgens das Dorf, mittags kamen die Amerikaner. „Da war mir klar, warum wir den Krieg verloren haben: Die Stiefel der Deutschen waren so laut, aber die Gummisohlen der Amerikaner hat man nicht gehört.“ Die mentale Entsorgung der Nazizeit, wie Schmidt es nennt, vollzog sich innerhalb von Stunden: Exemplare von „Mein Kampf“, Waffen, Hitler-Bilder – all das entsorgten die Erwachsenen vielfach in Jauchegruben. Niemand wollte als Nazi identifiziert werden. Und über den Krieg sprechen erst recht nicht.

Schmidts Vater konnte nichts mehr erzählen, er kehrte nie mehr nach Hause zurück. Der Vater von Wolfgang Breidert kehrte zurück. Er war im Zweiten Weltkrieg als Stabsarzt an der Front eingesetzt. Regelmäßig schickte er seiner Frau und den acht Kindern idyllisch anmutende Zeichnungen von der Front, versehen mit kleinen Reimen, wie in der Ausstellung zu sehen ist. Aber auch er „sprach nicht über seine Arbeit als Arzt“, erzählt Wolfgang Breidert (77).

Lebhafte Erinnerungen haben er und Günter Becker (77) an den Palmsonntag 1945, „so als wäre es gestern gewesen“, sagt Becker. „Ich war von der Wehrmacht enttäuscht“, erzählt er. Die Soldaten, die durch Erzhausen zogen, waren überhaupt nicht so, wie sie im Werbeheft damals beschrieben wurden. Dass die Reklame Propaganda war und nicht der Wahrheit entsprach, konnte der damals Siebenjährige noch nicht einschätzen. So gut es ging, habe ihn sein Großvater von der Hitlerjugend, ferngehalten. Ein Zehntel der Dorfbevölkerung fiel im Krieg, bombardiert wurde Erzhausen jedoch nur einmal, doch die Bombe richtete keinen großen Schaden an.

Die Ausstellung im Bücherbahnhof zeigt nicht nur zahlreiche Bilder und Texttafeln, vertreten sind auch Exponate aus dem Dorfmuseum. Hans Schmidt möchte mit der Schau vor allem zum Gespräch anregen: „Die Kriegsgeneration ist biologisch entsorgt, aber die Kriegskinder leben noch und können erzählen.“ An allen Ausstellungs-Sonntagen werden sie im Bücherbahnhof sein und von ihren Erinnerungen an den Nationalsozialismus und an das Kriegsende erzählen. So auch Edith Hechler (81), die letzte Zeitzeugin aus dem Unterdorf, wie sich selbst nennt. Bei der Eröffnung der Ausstellung berichtete sie von den weißen Betttüchern, die beim Einmarsch der Amerikaner überall aus den Fenstern hingen.

Infos Die Ausstellung ist bis 23. April im Bücherbahnhof zu sehen. Geöffnet ist Montag und Mittwoch, 15 bis 18.30 Uhr, Donnerstag 10 bis 12 Uhr. Am 29. März, 12. und 19. April ist von 15 bis 18 Uhr geöffnet, Zeitzeugen erzählen, Filme werden gezeigt.        jey

 


Das Team "Essen&Trinken" versorgte die Besucher mit Getränken und sehr
leckerem "Erzhäuser Museumsbrot" mit Schweineschmalz und vegetarischem Schmalz.

Hm, das schmeckt!

Nachdem die offiziellen Reden beendet waren, nutzten die Besucher die Gelegenheit zu intensiven Gesprächen mit anderen Besuchern.

Auch in dem folgenden Bild sind zwei "Zeitzeuginnen" im intensiven Gesprächen mit anderen Besuchern zu sehen:

Diesen beiden Damen ist das Vergnügen an der Veranstaltung leicht anzusehen.

Am Ende der Veranstaltung mußten noch die Bücherregale in ihre alte Position geschoben werden: