Gemeinde Erzhausen
Vergiss-Mein-Nicht e.V.
Partnerschaftsverein Erzhausen e.V.
 

Mahnwache
gegen den Krieg in der Ukraine
24. Februar 2024
 

Zweiter Jahrestag des russischen Überfalls:
Erzhausen demonstriert für die Ukraine

Bei der wegen Starkregens in das Innere der evangelischen Kirche verlegten Mahnwache zum zweiten Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine bewiesen die Erzhäuser Bürger eine großartige Geschlossenheit und demonstrierten in der bis auf den letzten Platz voll besetzten Erzhäuser Kirche in beeindruckender Weise ihre klare und entschiedene Einstellung für Demokratie und Freiheit!
Am zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine haben bundesweit zahlreiche Menschen an Solidaritätsbekundungen teilgenommen.
In der Hauptstadt und in vielen anderen Städten Deutschlands wurden aus Anlass des Jahrestags zahlreiche Demonstrationen angemeldet. Die zentrale Solidaritäts-Demonstration in Berlin stand unter dem Motto „Das Ungeheuerliche nicht hinnehmen“. Auch rund um den Globus waren weitere Gedenkveranstaltungen, Demonstrationen und politische Gespräche geplant.

Am 24. Februar 2022 hatte die russische Armee auf Befehl von Staatschef Putin die Ukraine angegriffen, nachdem sie 2014 schon die Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektiert hatte.

Auch in Erzhausen hatte man deshalb zu einer Mahnwache vor der evangelischen Kirche an diesen Jahrestag eingeladen.
Mit dabei Markus Boulanger (Vorsitzender Vergiss-Mein-Nicht e.V.), Claudia Lange (Bürgermeisterin Erzhausen), Maximilian Schimmel (Landtagsabgeordneter in Hessen), Torsten Leveringhaus (Landtagsabgeordneter in Hessen) und Heike Hofmann (Ministerin in Hessen für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales). Veranstalter: Vergiss-Mein-nicht e.V., Partnerschaftsverein Erzhausen e.V. und Gemeinde Erzhausen.

Erzhausen ist seit einigen Jahren mit der Stadt Ivanychi in der Westukraine verschwistert. Gemeinsam mit der Gemeinde Erzhausen, der evangelischen Kirche, dem Partnerschaftsverein

und der Freiwilligen Feuerwehr unterstützt der „Verein Vergiss-Mein-Nicht e.V.“ unsere Partnerstadt Ivanychi mehrmals im Jahr mit Kleidung, Lebensmitteln, Haushaltsgeräten, Hygieneartikel, medizinischen Geräten, Schuhen, Tierfutter, Feuerwehrgerätschaften und vieles mehr. In diesem Zusammenhang weilten gerade jetzt Inna und Igor Kilkovez von der Gemeindeverwaltung Ivanychi in Erzhausen, und so nahmen auch diese beiden an der Gedenkveranstaltung teil. In einer nicht eingeplanten, aber umso bewegenderen Rede machte Inna Kilkovez ihre große Dankbarkeit für die fortwährende Unterstützung durch die Erzhäuser deutlich.
Markus Boulanger, Vorsitzender des Vereins „Vergiss-Mein-Nicht e.V.“, eröffnete die Veranstaltung, begrüßte die Anwesenden und hielt eine engagierte Ansprache, in der er deutlich machte, dass wir alle auch weiterhin klar und entschieden hinter unseren Freunden in der Ukraine und in Ivanychi stehen und in unserer Unterstützung nicht nachlassen werden.
Auch Bürgermeisterin Claudia Lange, Ministerin Heike Hofmann und die Landtagsabgeordneten Maximilian Schimmel und Torsten Leveringhaus hielten jeweils eine eindrucksvolle Rede. Besonders herausragend war die Rede von Bürgermeisterin Claudia Lange, die mit ihrer klaren Stimme und ihrem aufrichtigen Engagement die Zuhörer tief berührte. Ihre Worte unterstrichen die Bedeutung von Solidarität und dem Einsatz für Frieden und Freiheit. Die Anwesenheit und Redebeiträge dieser Persönlichkeiten verstärkten die Botschaft der Mahnwache und verdeutlichten das gemeinsame Engagement für demokratische Werte und den Schutz der Menschenrechte.
Den Abschluss der Mahnwache bildete eine Schweigeminute, während der alle Anwesenden innehielten und gemeinsam der schrecklichen Ereignisse in der Ukraine gedachten.

 

Noch kurz vor 18 Uhr, dem geplanten Beginn der Mahnwache, standen
noch alle Teilnehmer vor der Evangelischen Kirche. Doch dann wurde
der Regen so stark, dass die Verantwortlichen kurz entschlossen die
Veranstaltung in das Innere der Kirche verlegten:
 


Schnell waren alle Plätze in der Kirche belegt,
eigentlich auch eine gute Lösung des Problems:

 


Der Vorsitzende des Vereins "Vergiss-Mein-Nicht e.V.",
Markus Boulanger, begrüßte die Teilnehmer der Mahnwache:

 

Ansprache und Begrüßung von Markus Boulanger

Einen guten Abend. Ich möchte alle ganz herzlich begrüßen. Schön, dass so viele heute Abend gekommen sind zu dieser Gedenkveranstaltung, Mahnwache, um gemeinsam zu zeigen, wir stehen hinter unseren Freunden in der Ukraine.
Vielen Dank auch Herrn Pfarrer Marcus Großkopf, dass wir hier in die Räumlichkeiten rein durften. Vielen Dank für die Gastfreundfreundschaft.

2 Jahre ist es nun her. Wir haben den zweiten Jahrestag, als Russland die Ukraine brutal überfallen hatte. Wir wollen gedenken, wir wollen zu unseren Freunden stehen, wir wollen uns solidarisieren, auch mit unseren Freunden, mit unserer Partnerstadt Ivanychi in der Ukraine, aber auch mit der Gesamtukraine. Wir stehen hinter euch! Wir zeigen Flagge buchstäblich. Wir zeigen das mit Lichtern, mit Hoffnung. Licht strahlt Hoffnung aus und wir wollen damit sagen, dass wir hinter euch stehen.

Ich bin dankbar für die Gäste, die mit dabei sind. Ich darf auch ganz herzlich Inna und Igor aus unserer Partnerstadt Ivanychi/ Ukraine begrüßen. Schön, dass ihr da seid. Herzlich Willkommen.
Ich möchte auch unsere Bürgermeisterin Frau Claudia Lange begrüßen. Danke Claudia, dass Du hier mit dabei bist und Dir trotz des vollen Terminkalenders Zeit genommen hast. Außerdem möchte ich begrüßen unsere Ministerin in Hessen für Arbeit, Soziales, Integration und Jugend, Frau Heike Hofmann. Danke Heike, dass Du auch hier mit dabei bist. Du bist erst seit ein paar Wochen im Amt und hast bestimmt viele Termine. Du bist nicht in Frankfurt oder Wiesbaden oder Darmstadt zu einer Kundgebung, sondern Dir war es wichtig in Erzhausen mit dabei zu sein. Vielen Dank auch hierfür.

Außerdem möchte ich unsere Landtagsabgeordneten Herrn Maximilian Schimmel, sowie Herrn Torsten Leveninghaus begrüßen. Danke, dass auch ihr heute euch Zeit genommen habt.

Zu Beginn wollen wir nun ein paar Worte hören von unseren Gästen. Beginnen möchte ich mit unserer Bürgermeisterin Frau Claudia Lange.
 

Danach ergriff unsere Bürgermeisterin Claudia Lange das Wort:
 

 

Ansprache zum 2. Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine
Claudia Lange, Bürgermeisterin

Liebe Erzhäuserinnen und Erzhäuser,

Ich freue mich sehr, dass so viele Menschen zu dieser Mahnwache gekommen sind! Ganz besonders begrüßen möchte ich Inna und Igor, die gestern aus unserer Partnerstadt Ivanychi in der Ukraine hier in Erzhausen eingetroffen sind.

Liebe Inna, lieber Igor, herzlich willkommen in Erzhausen. Unsere Freunde holen einen bundesgeförderten Pritschenwagen ab, der ihren Bauhof in Ivanychi unterstützen wird.

Herzlich begrüßen möchte ich auch unsere Landespolitiker, die Hessische Ministerin Heike Hoffmann (SPD) und die Landtagsabgeordneten Maximilian Schimmel (CDU) und Torsten Leveringhaus (B90/Die Grünen). Ich freue mich sehr, dass sie den Weg zu uns zu diesem zweiten Jahrestag des völkerrechtswidrigen russischen Überfalls auf die Ukraine gefunden haben. Herzlich willkommen.

Danken möchte ich Markus Boulanger vom Verein Vergiss-mein-nicht e.V. für die Initiative und Organisation dieser Veranstaltung. Danken möchte ich auch der evangelischen Kirche und dem Partnerschaftsverein e.V. für ihre Mitwirkung.

Als diese Mahnwache bekannt gemacht wurde, gab es Menschen, die sagten: „Warum ein Gedenken zum Jahrestag der Ukraine? Was ist mit den anderen Kriegsschauplätzen auf der Erde? Wenn, dann für alle.“ Andere sagten: „Warum liefern wir Waffen in die Ukraine? Wir haben auch eine schwierige Zeit, und man müsste sich mehr um uns kümmern.“

Diesen Menschen sage ich folgendes:

Kein Krieg auf der Welt ist es wert geführt zu werden. Die Zerstörung und das menschliche Leid, das Kriege hinterlassen, stehen in keinem Verhältnis zu den Interessen, die durch Kriege durchgesetzt werden sollen. Diplomatie, Bündnisse und Abschreckung sowie - nach innen - demokratische Wahlen sind die Mittel um Kriege zu verhindern.

Ich möchte Jörg Eigendorf zitieren, der anlässlich der Ehrung seiner Frau, der ZDF-Journalistin Katrin Eigendorf, im Januar dieses Jahres in Bürstadt folgendes schrieb:

„… A war begins long before the first cannon balls fly - it begins when a society loses its common grounds and human values. Standing up against these trends needs courage. And real courage means that we have to take risk. It is worth it - to defend our freedom and our democracies. It is about humanity; it is about being human and compassionate; it is about being courageous. …“

„… Ein Krieg beginnt lange bevor die ersten Kanonenkugeln fliegen - er beginnt, wenn eine Gesellschaft ihre gemeinsame Basis verliert und ihre menschlichen Werte. Gegen diese Entwicklung aufzustehen braucht Mut und Risikobereitschaft. Und das ist es Wert, denn es geht um die Verteidigung unserer Freiheit und unserer Demokratie. Es geht um Menschlichkeit. Es geht darum, menschlich und mitfühlend zu sein; es geht darum, mutig zu sein. …“

Warum diese besondere Veranstaltung für die Ukraine?

Die Ukraine ist uns geographisch und kulturell als europäisches Land besonders nah. Ich war früher für Mitarbeitende in Polen, Tschechien und in der Ukraine verantwortlich. Und es war zwischen Kiew, Prag, Warschau und Frankfurt eine Zusammenarbeit als Einheit. Die jungen und engagierten Kolleginnen und Kollegen waren gut ausgebildet, international interessiert und lebten nach westlichen Standards. Die Stadt Kiew mit ihren wunderschönen Gebäuden, den Parks, dem Fluss Dnepr oder auch Lwiv, Lemberg, waren wie viele andere europäische Ziele immer eine Reise wert.

Wenn ich mir die Ukrainerinnen und Ukrainer hier anschaue: Viele der Geflüchteten leben unter uns und arbeiten in Kindertageseinrichtungen oder im Pflegedienst oder in anderen
Berufen. Auch da spürt man die Ähnlichkeit der Kulturen, und wenn die Sprachbarriere gefallen ist, ist es eine vertrauensvolle, harmonische Zusammenarbeit.

Ich war letztes Jahr bei Inna und Igor in den Schulen und Kindergärten in Ivanychi und Novovolinsk. Die Gebäude, Klassenzimmer und der Schul- und Kindergartenbetrieb waren unseren Kitas und Schulen sehr ähnlich. In den Schulen wurde vielleicht mehr Wert auf Leistung und Wettbewerb gelegt als bei uns. In den Kitas standen Handarbeit und handwerkliche Kompetenz etwas mehr im Fokus als bei uns.

Sie alle können sich vielleicht an die Fußballeuropameisterschaft 2012 erinnern, die von Polen und der Ukraine ausgerichtet wurde.

Die Ukraine ist ein europäisches Land.

Und dass dieses Land überfallen und mit einem Angriffskrieg nun seit zwei Jahren überzogen wird, dass Städte, Krankenhäuser, Kultureinrichtungen zerstört werden. Dass Familien auseinandergerissen werden, dass immer wieder Särge mit gefallenen Familienvätern nach Ivanychi und in die anderen Städte zurückgebracht werden, schneidet uns ins Herz, macht uns zutiefst traurig und betroffen.

Ich will hier gar nicht ausführlicher auf die politische Lage eingehen, die Sie jeden Tag im Fernsehen sehen können - dass, falls die Ukraine fällt, EU-Staaten die nächsten Ziele sein könnten. Dass wir einen sehr validen militärischen Grund haben, die Ukraine zu unterstützen.

Dieses Land und seine Menschen sind uns verbunden, es sind unsere Freunde. Und darum ist es gut und wichtig, was der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier gestern gesagt hat: „Deutschland steht an der Seite der Ukraine.“

Wir stehen an der Seite unserer ukrainischen Freunde.

Erzhausen und seine Nachbarkommunen helfen in dem Umfang, in dem wir etwas für unsere Freunde tun können, mit Spenden und Sammlungen, mit Lieferungen von Hilfsgütern und mit geförderten Bundesprojekten, mit Schulausstattung, Feuerwehrfahrzeugen oder eben diesem Bauhoffahrzeug.

Ich möchte hier ganz besonders dem Verein Vergiss-mein-Nicht e.V. mit seinem Vorsitzenden Markus Boulanger danken, der seit vielen Jahren diese Spendensammlungen und Transporte organisiert. Herzlich danken möchte ich auch meinem Beigeordneten Hubert Riedl, Vorsitzender des Partner-schaftsvereins e.V., der seit Kriegsbeginn mehrere im sechsstelligen Bereich bundesgeförderte Hilfsleistungen organisiert und umgesetzt hat. Danken möchte ich der Freiwilligen Feuerwehr Erzhausen und den Wehren in Pfungstadt und Weiterstadt für Feuerwehrautos und Zubehör für unsere Partnerstadt.

Einen besonderen Dank möchte ich Ihnen aussprechen, all denjenigen, die - teils in hohem Alter - beim Spendensammeln und beim Beladen der 40-Tonner mit großer Energie und unermüdlich Hilfe leisten. Diese Solidarität und dieses große Zeichen von Hilfe und Unterstützung aus Erzhausen sind gelebte Werte und Menschlichkeit, von denen ich vorhin gesprochen habe.

Liebe Inna, lieber Igor, unsere Herzen und unsere Gedanken sind bei Euch. Wir wünschen Euch und Euren Landsleuten von ganzem Herzen, dass dieser Krieg schnell endet und dass die Ukraine ein freies und souveränes Land bleibt. Wir wünschen Euch, dass Eure Angehörigen körperlich unversehrt aus diesem Krieg wieder zurückkommen, und dass Ihr bald mit dem Wiederaufbau anfangen könnt.

Kommt gut wieder nach Hause.

Slava Ukraine!


Auch Heike Hofmann
(Ministerin in Hessen für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales)
hielt eine engagierte Rede:
 

Danach sprach Maximilian Schimmel (Landtagsabgeordneter in Hessen):
 

Als letzter sprach Torsten Leveringhaus (Landtagsabgeordneter in Hessen):
 

 

Markus Boulanger ergriff noch einmal das Wort und forderte zu einer Schweigeminute auf:
 

 

Nach der Schweigeminute bat Markus Boulanger
Frau Inna Kilkovez aus Ivanychi um eine paar Worte.
Diese hielt daraufhin eine sehr bewegende Ansprache:

 

Marco Trotta hat Teile ihrer Ansprache wie folgt notiert:

"Es sind schwere Zeiten, und es fällt schwer, zu sprechen. Wir sind stark, aber nur mit Eurer Unterstützung. Viele Familien leiden, auch kleine Kinder. Ihre Väter und Brüder müssen das Land beschützen. Wir sehen die vielen Menschen hier. Diesen Eindruck nehmen wir mit nach Hause und richten aus, was wir hier gesehen haben."

 

Artikel von Marco Trotta
Darmstädter Echo vom 26. Februar 2024
 

 

Artikel im Erzhäuser Anzeiger
29. Februar 2024
 

 

Rede unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier:
 

Zentrale Veranstaltung zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine
Schloss Bellevue, 24. Februar 2023 24. Februar 2023

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die zentrale Veranstaltung zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar in Schloss Bellevue mit einer Ansprache eröffnet:

"Es ist Russland, das sein Nachbarland brutal überfallen hat! Es ist Russland, das immer neue Truppen an die Front wirft! Nicht die westliche Verteidigungshilfe verlängert den Krieg – es ist Russland. Nicht die Ukraine und ihre Verbündeten verweigern sich dem Frieden – es ist Russland."
Jahidne ist ein Straßendorf irgendwo zwischen Tschernihiw und Kiew, ein Dorf wie viele andere in der Nordukraine: klein, unauffällig, ohne jede militärische Bedeutung. Ich werde diesen Ort niemals vergessen. Im Oktober war ich dort, und was mir die Menschen über ihr Martyrium erzählt haben, das hat sich auf ewig in mein Gedächtnis eingebrannt.
Wenige Tage nach dem Überfall auf die Ukraine hatten Soldaten der russischen Armee den Ort besetzt. Sie nahmen die Einwohner gefangen und sperrten sie in den Keller der kleinen Dorfschule: mehr als dreihundert Menschen auf engstem Raum, darunter Kranke, ganz Alte, auch zwanzig Kinder, das jüngste gerade mal anderthalb Monate alt. Dort kauerten sie auf dem Boden, in Dunkelheit und Kälte, fast ohne Essen, ohne Toiletten. 28 lange Tage und Nächte. Die ersten der Alten starben, dreizehn von ihnen überlebten den Keller nicht. Aber die Toten nach draußen zu tragen, blieb über Tage verboten, und so mussten die Kinder im Keller zwischen den Leichen der Verstorbenen spielen.
Als mir die Männer des Dorfes diese Geschichte erzählt haben, kamen ihnen die Tränen in Erinnerung an das Leid, an die Demütigungen. Die Frauen konnten gar nicht sprechen über das, was ihnen außerhalb des Kellers angetan worden war.
Das ist nur ein Beispiel, ich weiß es, aber: Es war und ist der Alltag in großen Teilen der Ukraine. Jeden Tag sterben unschuldige Menschen, werden Mütter zu Witwen und Kinder zu Waisen. Jeden Tag trägt Russland unermessliches Leid in die Ukraine hinein. Und auch ein Jahr nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine geht dieser Krieg mit unverminderter Härte weiter.
Es gibt keine Worte für den Schmerz und die Grausamkeit, die Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer erleben. Wenn sie ihre Liebsten betrauern. Wenn sie bei jedem Luftalarm um ihr eigenes Leben fürchten. Wenn sie bei Eis und Schnee in den Schützengräben ausharren.
Heute, am Jahrestag der russischen Invasion, hier bei dieser gemeinsamen Veranstaltung mit der Ukraine sind Menschen unter uns, die Unvorstellbares erlebt haben. Die Hölle, die ich durchgemacht habe, sie kann von niemandem geträumt werden, sagten Sie, liebe Frau Polischuk, nachdem Sie den verzweifelten Kampf um Mariupol und die Belagerung in den Katakomben von Azowstal überlebt hatten. Wir alle erinnern uns an das kurze Video aus den Katakomben, das Sie zeigt, wie Sie dort sitzen, mit so vielen Frauen und Männern, ohne Nahrung und Medikamente und am Ende ohne Munition. Und dann ist da Ihre Stimme, und Sie singen. Sie singen vom Kampf für die Freiheit Ihres Landes.
Viele Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer stellen sich jeden Tag ihren russischen Angreifern entgegen. Ihr aller Mut, der Mut, ihre Freiheit und ihre Unabhängigkeit zu verteidigen, er ist da, und er hat ganz große Kraft. Diese Männer und Frauen bangen täglich um ihr Leben und um ihre Liebsten. Aber sie kämpfen auch täglich für ihr Land und ihre Freiheit.
Wir Deutsche bewundern den Mut, die Kraft und den Willen der Menschen in der Ukraine, und wir stehen in Solidarität an ihrer Seite. Wir helfen ihnen, sich zu verteidigen, wir nehmen Anteil an ihrem millionenfachen Leid, und wir trauern um ihre Toten.
Liebe Gäste, ich möchte Sie bitten, gemeinsam mit mir einen Moment innezuhalten, um der Opfer des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu gedenken. Dazu möchte ich Sie bitten, sich zu erheben.

[Schweigeminute]
Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, der Krieg ist zurück in Europa! Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg findet mitten in Europa wieder ein Eroberungsfeldzug statt. Russland spricht der Ukraine das Existenzrecht ab, will die Ukraine als eigenständige Nation vernichten. Die Unverletzlichkeit von Grenzen, die Souveränität und Selbstbestimmung eines Landes, Menschenwürde und Frieden, die Einhaltung von Regeln und Recht – das bedeutet Putin nichts. Alles, worauf unser Zusammenleben in Europa aufgebaut ist, zählt für ihn nicht.
Es zählt aber für uns.
Deutschland ist nicht im Krieg, aber dieser Krieg geht uns an. Der russische Überfall hat uns in eine überwunden geglaubte Zeit gestürzt. Russlands Angriffskrieg hat die europäische Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt. Er ist ein Angriff auf alle Lehren, die die Welt aus zwei Weltkriegen gezogen hat. Er ist ein Angriff auf all das, für das auch wir stehen. Und das macht den Epochenbruch aus, den wir gegenwärtig erleben.
Die neue Zeit stellt neue Fragen. Und nicht alle Antworten finden wir in der Vergangenheit, nicht in den Routinen der letzten Jahrzehnte. Für uns, für die Länder der Europäischen Union, waren dies Jahrzehnte von Stabilität und Wachstum. Und davon war unser Denken und war unser Handeln geprägt. Heute müssen wir anders denken und anders handeln.
Es versteht sich von selbst, dass wir finanzielle und wirtschaftliche Hilfe leisten für das überfallene Land. Dass mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer bei uns Zuflucht gefunden haben. Ich bin allen Deutschen, allen Menschen in unserem Land dankbar, dass sie sich in so großer Zahl für die Opfer dieses Krieges einsetzen, Flüchtlinge aus der Ukraine unterstützen, Partnergemeinden in der Ukraine helfen – und das auch weiterhin tun werden.
Anders zu denken und anders zu handeln in dieser neuen Zeit bedeutet, dass wir jetzt auch Entscheidungen treffen, die wir vor ein, zwei Jahren vielleicht noch für unvorstellbar gehalten hätten. Wir liefern Waffen in ein Kriegsgebiet, schwere Waffen, und wir unterstützen die Ukraine in einem militärisch nie dagewesenen Ausmaß, mit großer Anstrengung und mit großem Ernst.
Natürlich ist jede Entscheidung begleitet von großen, auch emotionalen Debatten. Von Sorge vor Eskalation bei den einen, von Ungeduld bei den anderen. Eines weiß ich: Die politischen Verantwortungsträger, die hier vor mir sitzen, in Regierung wie in Opposition, sie sind sich der großen Tragweite jeder einzelnen Entscheidung sehr bewusst. Sie bewerten und entscheiden in Verantwortung für unser Land, für unser Bündnis und für die Ukraine. Ich meine: Dafür verdienen sie Respekt und Vertrauen.
Deutschland ist heute, auch militärisch, der größte Unterstützer der Ukraine auf dem europäischen Kontinent. Und bei allen kontroversen, manchmal schrillen Debatten bin ich sicher, wir werden das auch weiterhin sein. Deshalb sage ich, auch mit Blick auf das, was noch vor uns liegt: Auf Deutschland ist Verlass. Nimechchyna nadiynyy soyuznyk!
Wir haben es im letzten Jahr gesehen: Unsere Demokratie ist stark – viel stärker, als Putin sich vorgestellt hat. Und stärker auch, als wir vielleicht manchmal selbst geglaubt haben. Putin setzt darauf, dass die Verbündeten der Ukraine irgendwann müde werden, dass wir abstumpfen und wegschauen werden angesichts des Schreckens, ja, eines Schreckens, der auch für uns schwer auszuhalten ist.
Diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun, diesen Gefallen werden wir Putin nicht tun!
Ja, unsere Entschlossenheit und unsere Geschlossenheit werden noch auf lange Zeit gefordert sein. Wir unterstützen die Ukraine auf dem Weg in die Europäische Union – ein Weg, der eng verbunden ist mit dem Wiederaufbau des geschundenen Landes –, und wir wissen, dass die Ukraine auf lange Sicht, auch nach diesem Krieg, auf eine starke Verteidigung und wirksame Sicherheitsgarantien angewiesen sein wird. Auch dafür stehen wir an Ihrer Seite, verehrter Herr Makeiev!
Die Ukraine kämpft um ihr Land, ihre Freiheit, ihre Zukunft in Europa. Sie kämpft gegen Landraub und Besatzung. Sie kämpft für das, was jedes Land dieser Welt für sich in Anspruch nimmt. Für das, mit anderen Worten, was Voraussetzung für einen gerechten und dauerhaften Frieden ist.
Den Frieden ersehnen sich viele Menschen in diesen Tagen – in unserem Land, weltweit, aber nirgends so sehr wie in der Ukraine selbst. Doch ein Scheinfriede, der nur Putins Landraub besiegelt und die Menschen der Willkür der Besatzer überlässt, so ein Friede wird kein Friede sein.
Eine überwältigende Mehrheit der Staaten in den Vereinten Nationen hat gestern bekräftigt: Wenn Friede einkehren soll, dann muss es ein gerechter und dauerhafter Friede sein. Jeder konstruktive Vorschlag, der uns dem Weg zum gerechten Frieden näherbringt, ist hochwillkommen. Ob die Weltmacht China eine solche konstruktive Rolle spielen will, ist noch fraglich.
Wenn dem so ist, dann sollte China jedenfalls nicht nur mit Moskau sprechen, sondern auch mit Kiew. Wenn dem so ist, dann sollte China sich der überwältigenden Mehrheit der Staaten anschließen und unter dem Dach der Vereinten Nationen für Frieden eintreten. Wenn dem so ist, dann müssen wir gemeinsam die Prinzipien der Vereinten Nationen, dort behaupten, wo sie Tag für Tag gebrochen werden: Es ist Russland, das sein Nachbarland brutal überfallen hat! Es ist Russland, das immer neue Truppen an die Front wirft! Nicht die westliche Verteidigungshilfe verlängert den Krieg – es ist Russland. Nicht die Ukraine und ihre Verbündeten verweigern sich dem Frieden – es ist Russland.
Putin weiß sehr genau, was zu tun ist, wenn er ernsthaft ein Ende des Krieges wollte: Erst, wenn sich russische Truppen zurückziehen, öffnet das den Weg zu Verhandlungen. So fordert es die Resolution der Vereinten Nationen gestern.
Russland muss unmissverständlich klar werden: Es kann keinen Sieg geben in seinem verbrecherischen Krieg. Putin will siegen, mit aller Macht – aber die Wahrheit ist: Wer morden und töten lässt, wer die Ukraine kaputtbomben, Städte zerstören und Kinder verschleppen lässt, wer selbst die eigenen Soldaten Tag um Tag sinnlos verbluten lässt, der wird vor der Geschichte niemals als Sieger dastehen, der hat schon verloren!
Meine Damen und Herren, Sie alle haben vorhin beim Hereinkommen in diesen Raum die Fotografien in der Galerie unten gesehen: die Trümmer einer Wohnung in Charkiw, die Trümmer eines Hauses im Donbass, das einmal das Zuhause seiner Bewohner war; ein kleiner Junge am Grab seiner Mutter in Butscha. Und Sie haben das letzte, zentrale Foto in dieser Ausstellung gesehen: Es zeigt einen Soldaten in einem Dorf vor Cherson, in seinen Armen eine Frau. Die beiden sind einfach froh, einander am Leben zu sehen, erschöpft, aber befreit. Der Frieden, hier blitzt er für einen Augenblick auf.
Ich wünsche mir, dass wir noch viele Bilder wie dieses sehen.